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Studie zu Selbsthilfegruppen bestätigt positive Wirkung der Gemeinschaft

Warum sind Menschen, die sich stark mit anderen verbunden fühlen, gesünder und glücklicher? An der Uni Leipzig wird erforscht, welchen positiven Effekte Selbsthilfegruppen auch gerade in der Pandemie haben. Auch das HKND hat das Projekt bei einer Umfrage unterstützt, das Fazit ist nicht überraschend, wie die Co-Autorin der Studie, Susanne Relke, hier berichtet.

Soziale Verbundenheit ist gesund

Studien-Fazit: “Wir möchten daher alle Selbsthilfegruppen darin bestärken, sich ihr Engagement und die gegenseitige Fürsorge trotz dieser langatmigen, kräftezehrenden Krise zu bewahren – und zwar nicht nur bis zum Pandemieende, sondern auch darüber hinaus.”

Es scheint offensichtlich: Im Zusammensein mit anderen lebt, liebt und lacht es sich besser. Unter seinesgleichen fühlt man sich eher verstanden, zugehörig, geschätzt und unterstützt. Dabei beschränkt sich die positive Wirkung sozialer Verbundenheit nicht nur auf Freundschaften oder die Familie. Studien zeigen, dass das auch auf weiter gefasste soziale Gruppen zutrifft, zum Beispiel auf Bewohner eines Ortes, Mitglieder eines Vereins oder weil wir derselben Tätigkeit nachgehen. Auch die gleichen Überzeugungen zu haben oder ein Schicksal zu teilen, hat einen ähnlichen Effekt. In der Regel gilt: Je stärker man sich mit einer sozialen Gruppe identifiziert, umso höher ist das eigene Wohlbefinden.

Menschen, die sich stark mit anderen verbunden fühlen, sind gesünder, glücklicher und leben länger. Dieser Effekt wird social cure („soziales Heilmittel“) genannt und beschäftigt die sozialpsychologische Forschung auf der ganzen Welt. Warum profitiert der einzelne Mensch davon, sich auf Gruppenebene zu identifizieren? Was bedeutet das für uns in Krisenzeiten?

Forschungsansatz: Was bedeutet mehr Kontrolle bei einer Krebserkrankung?

Titel des wissenschaftlichen Artikels

Die Arbeitsgruppe von Susanne Relke, M.Sc., forscht zum Thema Kontrollwahrnehmung. [Übersetzung: “Allein erkrankt, gemeinsam angepackt: Handlungsfähige Gruppen erhöhen das Wohlbefinden von chronisch Kranken durch die Wahrnehmung von persönlicher Kontrolle.”]

Diese heilsame Wirkung macht man sich im klinischen Setting bereits zunutze, z.B. in gruppenbasierten Therapien oder in der Selbsthilfe. Man kennt allerdings noch nicht alle zugrundeliegenden Mechanismen und Einflussfaktoren dieses Effekts. Dabei könnte das für uns gerade dann wichtig werden, wenn uns Krisenzeiten wie eine Pandemie dazu zwingen, dass Gruppen vorübergehend nicht mehr zusammenkommen können.

In der Forschung unserer Arbeitsgruppe geht es um einen ganz bestimmten Wirkmechanismus: Wir untersuchen, ob der Social-Cure-Effekt auch damit zu tun hat, dass soziale Gruppen eine Quelle für wahrgenommene Kontrolle sein können. In der Psychologie meint Kontrollwahrnehmung das Gefühl, das Leben nach den eigenen Wünschen frei gestalten und verändern zu können.

Je stärker Menschen Kontrollvermögen wahrnehmen, umso höher ist ihr Wohlbefinden. Im Kontext von (chronischen) Erkrankungen wie Krebs berichten viele Betroffene über einen erheblichen Kontrollverlust. Gruppen, zum Beispiel Selbsthilfegruppen, können ihren Mitgliedern dabei helfen, ein Gefühl von Kontrolle wiederzuerlangen. Wir vermuten allerdings, dass Gruppen das nur dann tun, wenn ihre Mitglieder sie für handlungsfähig halten. Sie müssen also als Gruppen wahrgenommen werden, die gemeinschaftliche Ziele haben und diese Ziele auch erreichen können. Dann sollte eine hohe Verbundenheit mit ihnen auch ein besseres Wohlbefinden ihrer Mitglieder nach sich ziehen können, denn das persönliche Kontrollgefühl der Mitglieder wird erhöht. Unseren Überlegungen nach müssen sich diese Gruppen nicht zwangsläufig treffen, damit dieser Effekt eintritt – zumindest solange die Verbundenheit mit der Gruppe hoch ist und der Eindruck einer kollektiven Handlungsfähigkeit besteht.

Online-Befragung im Sommer 2020 zum Einfluss der Pandemie

Um unsere Annahmen zu untersuchen, haben wir im Sommer 2020 eine Online-Befragung durchgeführt. Insgesamt haben uns 314 Personen zwischen 20 und 91 Jahren aus 129 Selbsthilfegruppen und elf verschiedenen Krebsarten unterstützt. Wir wollten u.a. wissen, wie sehr sich die Teilnehmenden von einer möglichen COVID-19-Infektion bedroht fühlten, welche Auswirkungen die Pandemie-Schutzmaßnahmen auf sie selbst und auf die Selbsthilfegruppe hatten, wie viel Kontrolle sie in ihrem Leben wahrnahmen, wie stark sie sich trotz der fehlenden räumlichen Nähe mit ihrer Selbsthilfegruppe verbunden fühlten und ob sie sich trotzdem als aktives Mitglied ihrer Gruppe wahrnahmen, auch wenn gerade keine Gruppentreffen stattfanden.

Aufgrund der Pandemie mussten viele Präsenz-Treffen ausfallen. Foto: A. Wispler

63% aller Befragten gaben an, im Falle einer Corona-Infektion gefährdet zu sein, an einem schweren Verlauf zu erkranken. Die deutliche Mehrheit gab an, die Corona-Maßnahmen zu befürworten (86%), und der überwiegende Teil gab an, dass die Corona-Maßnahmen ein Gefühl von Sicherheit gaben (63%). Manche haben den (ersten) Lockdown als entschleunigend erlebt, während sich andere in dieser Zeit stark verunsichert, angespannt, eingeschränkt, allein gelassen und/oder seelisch belastet gefühlt haben. Viele gaben an, dass ihnen ihre sozialen Kontakte und die gemeinsamen Unternehmungen fehlten. Die meisten Teilnehmenden schrieben, dass in ihrer Selbsthilfegruppe telefonisch oder digital über E-Mail, Videokonferenzen, WhatsApp oder ähnliches Kontakt gehalten wurde. Bei einigen wurden die Gruppentreffen aber auch ersatzlos gestrichen. Andere haben sich nur persönlich – aber nicht mehr als Gruppe – ausgetauscht. Vereinzelt wurden Freilufttreffen organisiert.

Gefühl der Stärke und Kontrolle je nach Verbundenheit mit der Gruppe

Mehrere erwähnten, sich hilflos zu fühlen und die Gruppentreffen sehr zu vermissen. Andere betonten, dass die Gruppenleitung eine große Hilfe sei. Trotz der Umstände und der fehlenden Treffen fühlte sich der Großteil eher stark mit der Selbsthilfegruppe verbunden und empfand die Gruppe tendenziell eher hoch zielorientiert und gemeinschaftlich aktiv.

Darüber hinaus zeigte sich, was wir bereits vermutet hatten: Wer sich zum Zeitpunkt der Befragung stark mit seiner Selbsthilfegruppe verbunden fühlte, nahm mehr Kontrolle in seinem eigenen Leben wahr und war deshalb zufriedener und glücklicher als jene, die sich nur gering mit ihrer Selbsthilfegruppe identifizierten. Dieser Zusammenhang zeigte sich aber nur für jene Mitglieder, die ihre Gruppe zu jener Zeit als zielorientiert und handlungsfähig wahrnahmen. Andernfalls war die Selbsthilfegruppe keine Quelle von Kontrolle und trug dann auch nicht zur Lebenszufriedenheit bei.

Selbsthilfegruppen sind eine wertvolle psychologische Ressource – trotz Pandemie!

Die wesentliche Schlussfolgerung ist: Selbsthilfegruppen sind eine unschätzbar wertvolle psychologische Ressource – vor allem dann, wenn man sich als Einzelperson machtlos fühlt. Sich also in der Zeit der Pandemie-Krise trotz fehlender Treffen mit anderen Mitgliedern stark verbunden zu fühlen und das Gefühl zu haben, dass die Selbsthilfegruppe (trotzdem? oder gerade deshalb?) gemeinsame Ziele hat und diese gemeinschaftlich erreichen will, trägt dazu bei, dass man in seinem Leben mehr Kontrolle und deshalb auch mehr Lebenszufriedenheit und Glück erlebt.

Und mehr noch: Wenn man bedenkt, dass wir diesen Zusammenhang finden, obwohl sich die Teilnehmenden zum Zeitpunkt unserer Befragung nicht aktiv als Gruppe treffen konnten, dann beweist das, dass das subjektive Gefühl viel wichtiger als der objektive Rahmen ist.
Wir möchten daher alle Selbsthilfegruppen darin bestärken, sich ihr Engagement und die gegenseitige Fürsorge trotz dieser langatmigen, kräftezehrenden Krise zu bewahren – und zwar nicht nur bis zum Pandemieende, sondern auch darüber hinaus. Soziale Gruppen mit ihrem Gemeinschaftssinn und ihrem Potenzial zum kollektiven Handeln sind nach wie vor ein völlig unterschätztes medizinisches Wundermittel – für Seele, Geist und Körper. Fühlen Sie sich, liebe Selbsthilfeaktiven, also unbedingt dazu ermutigt, zuversichtlich und zielorientiert zu bleiben. Sie werden davon profitieren.

Studie: Relke, S., Fritsche, I., Masson, T., Kleine, A.-K., Thien, K., Von Glahn, L., Leuteritz, K. & Richter, D. (in press). Personal condition but social cure: Agentic ingroups elevate well-being in chronically ill patients through perceptions of personal control. British Journal of Health Psychology

Susanne Relke, M.Sc., Universität Leipzig, Institut für Psychologie, Abteilung Sozialpsychologie (gekürzt, zuerst erschienen in DLH-Info 74)

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