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Komplementäre und alternative Medizin – warum ist der Unterschied wichtig?

Prof. Dr. Jutta Hübner Prof. Dr. med. Jutta Hübner von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Foto: Wolkenhauer - tulip-foto.de

Die beiden Begriffe komplementäre und alternative Medizin werden oft in einem Atemzug genannt und nicht unterschieden. Tumorpatienten fragen nach alternativer Medizin, wenn sie auf der Suche nach „natürlichen“, sanften Heilmitteln sind, die ihnen helfen können. Dabei suchen sie meist eine begleitende Therapie zur Krebsbehandlung durch den Onkologen – also eine komplementäre ergänzende Therapie.

Das Bedürfnis der Patienten, selber aktiv zu werden und so zu einem guten Gelingen der Therapie beizutragen, ist nicht nur verständlich, sondern wichtig. Leider treffen Patienten häufig bei den sie behandelnden Onkologen auf wenig Wissen und Zeit zu dem Thema und geraten damit immer wieder an unseriöse Anbieter. Unseriöse Alternativmedizin erkennt man daran, dass sie teilweise Heilung allein durch diese Maßnahmen verspricht und behauptet, eine praktisch hundertprozentige Erfolgsquote zu haben, in allen Krankheitssituationen, bei allen Tumorarten und häufig auch bei anderen Erkrankungen angewendet werden zu können. Hinzu kommt, dass diese Methoden angeblich völlig nebenwirkungsfrei sein sollen.

Vorsicht bei Alternativmedizin und zusätzlichen Kosten

Spätestens, wenn man einen Vertrag als Privatpatient unterschreiben soll, sollte man sehr vorsichtig werden. Diese Verträge beinhalten nicht nur, dass man sich verpflichtet die (oft teuren) Behandlungen selber zu bezahlen, sondern in der Regel findet sich hier auch eine Klausel, dass man informiert ist, dass die Therapie nicht dem Standard und den Leitlinien entspricht, dass man aber diese Behandlung ausdrücklich wünscht. Dies ist deshalb gefährlich, da neben den hohen Kosten das Risiko, wenn Komplikationen auftreten, beim Arzt und Patienten allein liegen und der Patient sich im Zweifelsfall seine Ansprüche beim Alternativ-Arzt auf dem rechtlichen Wege einfordern muss, wozu in vielen Fällen die Kräfte bei weit fortgeschrittener Tumorerkrankung nicht ausreichen.

Alternative Medizin erkennt man auch häufig daran, dass sie sich einen pseudowissenschaftlichen Anstrich gibt. Es werden Studien oder Universitäten und Professoren zitiert. Schaut man sich dies genauer an, so löst es sich entweder in Luft auf oder es wird deutlich, dass es sich allein um Zellexperimente und gar nicht um wissenschaftliche Studien an größeren Patientengruppen handelt. Dabei gilt, dass sehr viele Substanzen im Reagenzglas Tumorzellwachstum hemmen, dass dies aber im menschlichen Körper häufig nicht funktioniert oder so starke Nebenwirkungen hat, dass die Therapie sich in ihrer Intensität nicht von den wissenschaftlichen Methoden der Schulmedizin unterscheidet. Tatsächlich gibt es eine ganze Reihe aus der Natur entwickelte onkologische Medikamente (zum Beispiel die Taxane aus der Eibe).

Komplementärmedizin: unterstützend und wissenschaftlich belegt

Die komplementäre Therapie dagegen ist Teil der wissenschaftlichen Medizin. Sie teilt die Überzeugung, dass man in Studien die Wirksamkeit der Therapien nachweisen kann und muss. Patienten haben ein Anrecht auf gut geprüfte Therapien, die wir ganz konkret für den einzelnen Patienten und seine Erkrankung zusammenstellen können. Sobald diese Forschungsergebnisse vorliegen, wird das Mittel Teil der Schulmedizin. So gibt es heute schon eine Reihe von natürlichen Heilmethoden, die allgemein als Teil der Behandlung anerkannt sind und damit eigentlich zur Schulmedizin gehören. Im strengen Sinne sind Bewegung, körperliche Aktivität und Sport aber auch gesunde Ernährung oder die Beteiligung an einer Selbsthilfegruppe Formen von komplementärer Medizin. Aus meiner Sicht zeichnet sich die komplementäre Medizin dadurch aus, dass es Methoden sind, die die Patienten selber entscheiden und durchführen können. Mittel der komplementären Therapie können in der Tumortherapie in Abstimmung auf die Schulmedizin ergänzend angewendet werden.

Dieser unterstützende Einsatz kann sehr hilfreich sein, v.a. wenn es sich um einfache Maßnahmen handelt, die Patienten und Angehörige sicher selbständig in Eigenregie durchführen können. So kann komplementäre Medizin doppelt hilfreich sein: sie hilft gegen leichte Beschwerden und sie fördert die Selbständigkeit und Autonomie unserer Patienten. Leider wissen wir insbesondere bei Hautkrebs noch sehr wenig über komplementäre Therapien und ihr Zusammenwirken mit schulmedizinischen Therapien oder auch über evtl. sogar gefährliche Wechselwirkungen.

Gesunde Ernährung bei Krebs

Bisher haben wir kein Mittel in der Naturheilkunde, mit dem wir allein und direkt den Krebs heilen können, aber wir haben eine Reihe von Methoden, die helfen die Krebstherapie besser zu überstehen, schnell wieder zu Kräften zu kommen und sich danach gesund zu verhalten und dies alles kann zum Erfolg der Therapie beitragen. Dabei sind gesunde Ernährung und körperliche Aktivität die am besten untersuchten und natürlichsten Methoden, um etwas für sich selber zu tun.

Wichtig ist, dass Patienten sich allgemein gesund und ausgewogen ernähren. In einer gesunden Ernährung sind alle wichtigen Nährstoffe (Makronährstoffe: Eiweiße, Fette, Kohlenhydrate; Mikronährstoffe: Vitamine, Spurenelemente und sekundären Pflanzenstoffe) enthalten. In allen Obst-, Gemüse- und Salatsorten sind nicht nur Vitamine und Spurenelemente sondern auch so genannte sekundäre Pflanzenstoffe. Diese zeigen fast alle im Reagenzglas eine das Tumorzellen Wachstum hemmende Wirkung. Deshalb finden weltweit ganz viele Labor-Untersuchungen zu einzelnen Substanzen wie zum Beispiel Extrakten aus Grünem Tee oder Kurkuma und anderen statt.

Diese Untersuchungen zeigen, dass häufig die positive Wirkung von der Konzentration im Reagenzglas abhängig ist. Zu geringe Dosierungen haben keine Wirkung, zu hohe oft aber auch eine umgekehrte, teilweise sogar eine tumorauslösende. Teilweise können sehr hohe Konzentrationen sogar einen Einfluss auf die Wirkung der Krebsmedikamente haben. Viele sekundäre Pflanzenstoffe sind Antioxidantien, die in hoher Konzentration das Absterben von Tumorzellen verhindern können. Dies ist der Grund, warum wir Patienten derzeit die Einnahme solcher hoch dosierten Extrakte nicht empfehlen. Hinzu kommt, dass wir oft nicht wissen, wie sich solche hoch dosierten Extrakte in Kombination mit den Tumormedikamenten verhalten. Weiterhin gilt die alte „5-am-Tag“-Regel, denn damit werden ganz verschiedene gesunde Stoffe in den Körper aufgenommen.

Sonderfall Vitamin D und Selen

Es gibt aber zwei sogenannte Mikronährstoffe, die bei einigen Patienten trotz gesunder Ernährung zu wenig im Körper sind: das Vitamin D, denn es wird erst in der Haut durch UV-Licht aktiviert und das Selen, ein Spurenelement. Wer wenig an der Sonne ist oder sich mit Hautschutzmittel schützt, was fast alle Pateinten mit Melanom tun, der hat möglicherweise einen Mangel. Diesen kann man nur mit einer Spiegelbestimmung feststellen. Vitamin D hat eine Bedeutung als Schutz gegen Osteoporose. Zusätzlich scheint es einen (bremsenden) Einfluss auf Tumorzellen zu haben. Wer einen Mangel hat, kann in Absprache mit dem Arzt ein Vitamin D3-Präparat einnehmen.

Auch zu Selen gibt es erste Hinweise, dass ein Mangel für Patienten mit Krebs ungünstig ist. Ob dies auch bei Hautkrebs gilt, ist unklar. Im Zweifelsfall kann man auch hier den Spiegel bestimmen. Einfacher ist es, Selen natürlich mit der Ernährung zuzuführen: 1-2 Paranüsse oder etwas Kokosnuss am Tag liefern ausreichend Selen. Weder Vitamin D noch Selen sollte man ohne Absprache mit dem Arzt als Nahrungsergänzungsmittel einnehmen, denn Studien zeigen, dass sowohl ein Mangel als auch ein Zuviel ungünstig sind.

Vorsicht bei Krebsdiäten

Weit verbreitet sind derzeit leider bestimmte Ernährungsformen bis hin zu Krebsdiäten. Während eine ausgewogene vegetarische Ernährung noch ausreichend Nährstoffe bietet, wird dies bei veganer Ernährung sehr schnell schwierig, insbesondere wenn Schleimhäute, Magen und Darm durch die Therapie beeinträchtigt sind. Ebenso wie die kohlenhydratarme oder so genannte ketogene Ernährung ist deshalb das Fasten, auch wenn es nur auf wenige Tage um die Chemotherapie herum beschränkt wird, kritisch zu sehen. Es gibt keinen Beweis, dass so die Wirkung der Chemotherapie verbessert werden kann, im Gegenteil: Wir wissen, dass Patienten, die während der Therapie Gewicht verlieren, eine schlechtere Prognose haben.

Leider unterliegt auch die komplementäre Medizin Modeerscheinungen. Aktuell sind fernöstliche Heilmethoden von der Traditionellen Chinesischen Medizin hin zur Ayurveda weit verbreitet. Schaut man genauer hin, so gibt es für keines der Heilkräuter innerhalb der Traditionellen Chinesischen Medizin überzeugende Belege für eine Wirksamkeit bei Krebspatienten. Im Gegenteil, einige dieser Substanzen sind hochwirksam, haben aber auch Nebenwirkungen.

Hinzu kommt, dass vielfach verunreinigte Präparate aus diesen fremden Ländern kommen, die dann gefährliche Substanzen enthalten. Immer wieder werden Patienten mit Leber- oder Nierenversagen notfallmäßig in Krankenhäuser aufgenommen, die solche Präparate eingenommen haben.

Akupunktur lindert subjektiv Beschwerden

Auch bei der Akupunktur ist die Wissenschaft skeptisch. Die so genannten Meridiane sind bisher wissenschaftlich nicht nachweisbar. Studien zeigen, dass Patienten sich nach einer Akupunktur eventuell besser fühlen. Dies bezieht sich aber meist auf subjektive Beschwerden und in der Regel ist es völlig egal, ob eine echte Akupunktur an traditionellen Akupunkturpunkten, eine Nadelung an anderen Stellen oder auch nur eine Scheinbehandlung durchgeführt wird.

Hohe Beliebtheit haben derzeit fernöstliche Bewegungstherapien wie Yoga, Tai chi und Qigong. Eine ganze Reihe von Studien zeigt positive Wirkungen. Allerdings sind in den meisten dieser positiven Studien die Patienten in der Kontrollgruppe überhaupt nicht behandelt worden. Und eines gilt auf jeden Fall: Patienten, um die sich jemand kümmert, geht es besser. Wird in Studien eine dieser Bewegungsformen zum Beispiel mit einer klassischen Krankengymnastik verglichen, so findet sich kein Unterschied.

Was kann man als Patient daraus ableiten? Wichtig ist es, Bewegungsformen zu finden, die einem Spaß machen. Wer Spaß an Yoga hat, darf dies tun. Wer das Gefühl hat, dass wohlmeinende Angehörige und Freunde unbedingt möchten, dass man Yoga praktiziert, der sollte den Mut haben und sagen “ich finde meine eigene Form der Bewegung” – und sich selber auf den Weg machen.

Vorsicht bei Immunstimulanzien

Auch Immunstimulanzien, sei es die Mistel, Heilpilze oder bestimmte Heilpflanzen, nützen leider bei Krebs nicht gegen den Tumor. Sie aktivieren zwar Immunzellen, aber dies bedeutet trotzdem nicht, dass die aktivierten Immunzellen die Krebszellen entdecken und angreifen können. Beim Melanom zeigt eine Studie sogar, dass Patienten mit der Mistel etwas mehr Metastasen bekamen, als ohne. Dieser Unterschied war zwar nicht sehr groß (Wissenschaftler nennen das statistisch signifikant), sodass wir nicht sicher wissen, ob es Zufall war, aber auf jeden Fall gab es keinen Nutzen. In der Abwägung zwischen Nutzen und Schaden kommt deshalb auch die Leitlinie Melanom zu der Empfehlung, dass die Mistel bei Patienten mit Melanom nicht angewendet werden soll.

Besonders gefährlich könnte die Kombination aus modernen onkologischen immunologischen Medikamenten und Immunstimulantien sein. Wenn der Körper verstärkt auf diese Krebsmedikamente reagiert, so kann es dadurch möglicherweise zu den gefürchteten Nebenwirkungen der Autoimmunerkrankungen kommen.

Was kann man aber nun wirklich selber tun?

Mundschleimhautentzündung

​Spülen mit der Teesorte, die Ihnen am besten mundet (Salbei, Kamille, Pfefferminze…) – ​möglichst häufig
​Honig im Mund zergehen lassen
​den Mund mit Speiseöl ausspülen

Durchfälle

​Probiotika, am einfachsten aus Joghurt und anderen vergorenen Milchprodukten
​geriebener Apfel oder gekochte Möhren

Fatigue

Bewegung bis hin zum Sport, eventuell zunächst mit Krankengymnastik anfangen
​Möglicherweise helfen Ingwer oder Omega 3-Fettsäuren.
​Ginseng wurde positiv getestet, kann aber Wechselwirkungen mit der Tumortherapie haben ​und sollte deshalb mit dem Arzt abgesprochen werden, ist außerdem in ausreichender ​Dosierung teuer.

Aus Patientensicht ergeben sich heute viele Möglichkeiten der Information. Insbesondere Internet und Chatrooms stellen eine Quelle dar und dort werden immer wieder komplementäre und alternative Therapieangebote präsentiert. Es ist sehr schwierig bis fast unmöglich seriöse und unseriöse Angebote zu unterscheiden.
Der Patient hat ein Recht auf gute, umfassende und ehrliche Information. Nur dann kann er seine Entscheidungen frei und selbstbestimmt treffen. Diese Informationen muss v.a. der Arzt (Facharzt und Hausarzt) vermitteln.

Wer selber auf der Suche ist, sollte einige wichtige Fragen stellen:

  • Wo ist der Nutzen der Methode bewiesen worden – kann ich das nachprüfen (oder könnte mein Arzt dies tun)?
  • Welche Nebenwirkungen hat die Methode?
  • Gibt es Wechselwirkungen mit meiner Therapie?

Sehr vorsichtig sollten Sie sein, wenn

  • die Methode angeblich gegen alle möglichen Krankheiten wirkt – so auch gegen AIDS – und das Altern verhindert
  • angeblich keine Nebenwirkungen auftreten
  • die Methode als Alternative zur Operation, Chemo- oder Strahlentherapie angeboten wird
  • Sie darüber nicht mit ihrem Arzt reden sollen
  • es teuer wird – einfache Regel: je teurer, desto wahrscheinlicher ist es, dass jemand v.a. Ihr Geld möchte.

Prof. Dr. med. Jutta Hübner, Friedrich-Schiller-Universität Jena

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