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Noch dicke Bretter zu bohren: 5. NVKH mit dem Schwerpunkt Patientenorientierung

Die Nationale Versorgungskonferenz Hautkrebs (NVKH), die vom 21. bis 22. Februar 2019 in Berlin stattfand, hatte diesmal den Schwerpunkt „Patientenorientierung im deutschen Gesundheitswesen“. Vertreterinnen und Vertreter aus den Reihen der Patienten, der Forschung und des medizinischen Personals sowie der Politik und des Gesundheitswesens arbeiten in diesem Gremium zusammen mit dem Anspruch, die Versorgung von Hautkrebspatienten zu verbessern. Es wurden dazu viele spannende Ansätze vorgestellt und engagierte Diskussionen geführt.

Die Nationale Versorgungskonferenz Hautkrebs (NVKH) ist ein deutschlandweites Netzwerk für Dermatologen, Entscheidungsträger und andere Akteure des Gesundheitswesens im Bereich Hautkrebs. Das Netzwerk soll helfen, aufeinander abgestimmte Projekte zu realisieren und gemeinsame Werte zu vertreten um die Prävention, Früherkennung, Versorgung sowie Bürger- und Patientenorientierung zu stärken und zu verbessern. Bei der jährlich statt findenden Versorgungskonferenz tauschen sich die Experten über Projekte aus und diskutieren Plenum aktuelle gesundheitspolitische Fragen. (Lesen Sie hier mehr über exemplarische vorgestellte Projekte der NVKH)

Patientenorientierung im Fokus der 5. Nationalen Versorgungskonferenz Hautkrebs

Prof. Dirk Schadendorf

Prof. Dirk Schadendorf, Vorsitzender der Lenkungsgruppe, begrüßt die Teilnehmenden bei der 5. NVKH in Berlin. Foto: A. Wispler

Auf die bestehende Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung, aber auch bei der Patientenorientierung des Gesundheitssystems wies Prof. Dirk Schadendorf, Vorsitzender der Lenkungsgruppe der NVKH hin.
Zur Begrüßung des Plenums stellte er fest, dass zwar eine Menge guter Gesundheitsinformationen vorhanden und zugänglich ist, Patienten jedoch oft Schwierigkeiten haben, an für sie relevante und gut verständlichen Informationen zu gelangen.

Die unterschiedlichen Aspekte der Gesundheitskompetenz – die Fähigkeiten, für sich passende Informationen zu finden und zu verstehen sowie ihre Güte zu bewerten und sie letztlich auch anwenden zu können – erläuterte Gesundheitswissenschaftler Dr. Sebastian Schmidt-Kaehler. Bettina Godschalk vom Bundesministerium für Gesundheit brachte die strukturellen und ökonomischen Rahmenbedingungen des Gesundheitssystems in die Diskussion ein, die sich unter anderem auf das Rollenverständnis und den Umgang mit Patienten auswirken.

Von der Humanmedizin zur humanen Medizin

Die Realität des derzeitigen Gesundheitssystems

Prof. E. Breitbart nannte auch die mangelnde Patientenorientierung des derzeitigen Gesundheitssystems.

Den Anspruch Humanmedizin auch als eine humane Medizin zu begreifen, die den Patienten nicht nur als Objekt sieht, sondern ihn mehr in die Prozesse einbindet, formulierte Prof. Eckhard Breitbart in seinem Vortrag. Systembedingt stehen der fachkompetente Arzt und der hilfesuchende Patient in einer asymmetrischen Beziehung zu einander. Um beide Parteien mehr auf eine Augenhöhe zu bringen, sei eine (Rück)Besinnung auf medizinethische Werte notwendig. Dazu gehören das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen und die Berücksichtigung seiner Präferenzen, das Prinzip, dem Patienten nicht zu schaden, eine faire Verteilung von Gesundheitsleistungen sowie das Prinzip der (aktiven) Fürsorge, welches dem Recht auf Selbstbestimmung allerdings auch entgegen stehen kann.

Leitziel ist die informierte Entscheidung und partizipartive Entscheidungsfindung, bei der Patient und Arzt gemeinsam Behandlungsoptionen und Präferenzen und Werte des Patienten abwägen, um dann eine Entscheidung über die jeweilige Behandlung zu treffen und sie auch gewissenhaft umzusetzen. Im Idealfall folgt daraus die bestmögliche Therapie und auch Zufriedenheit auf beiden Seiten. Demgegenüber stehen eine nachgewiesene mangelnde Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung sowie fehlende kommunikative Kompetenzen aufseiten der Ärzteschaft. Gesundheitsbildung allgemein, eine Weiterentwicklung der Aus-, Weiter- und Fortbildung in den Gesundheitsberufen sowie eine patientenorientierte Aufbereitung von (Online-)Gesundheitsinformationen sind hier bedeutende zukünftige Handlungsfelder. Jüngst wurden sie so auch in der „Gemeinsamen Erklärung zu Bildung einer Allianz für Gesundheitskompetenz“ formuliert.

Vorstellung des Onlineforums „Diagnose Hautkrebs – Du bist nicht allein“ / Melanom Info Deutschland

Seitens der Patientenvertretung sprach HKND-Mitglied Katharina Kaminski im Plenum über die Selbstorganisation von Hautkrebspatienten in sozialen Medien im Internet. Sie moderiert die Facebook-Seite „Melanom Info Deutschland“ sowie die geschlossene Facebook-Gruppe „Diagnose Hautkrebs – Du bist nicht allein“. Der schnelle, überregionale Austausch unter Betroffenen offenbart die Herausforderungen des bestehenden Systems: Neben kommunikativen Hürden führen auch Fehlinformationen und mangelnde Unterstützung im Alltag während der Therapie zu hohen Belastungen bei den Betroffenen.

Ausblick und Perspektiven

Forderungen und Thesen aus Sicht der Selbsthilfe

Ihrer Meinung nach sollte es bei der Patientenorientierung nicht nur um gute Arzt-Patienten-Kommunikation gehen. An erster Stelle steht aus Sicht der Betroffenen die bestmögliche Behandlung: „Wir wollen schließlich zuerst überleben!“ Gebraucht werden aus Patientensicht flächendeckend zertifizierte Hauttumorzentren, eine gewissenhafte und leitliniengerechte Nachsorge, eine umfassende sozialrechtliche Beratung und ein erweitertes Angebot an psychoonkologischer Betreuung.

Die Selbsthilfe möchte zudem weg vom Image des Kaffeekränzchens. Als selbstorganisiertes Patientennetzwerk verfügt sie über essenzielle Kompetenzen und strebt eine stärkere Förderung und Integration in das medizinische Versorgungssystem an.
Hier der Vortrag als PDF: Patientenorientierung aus Sicht der Hautkrebs-Selbsthilfe

NVKH will gemeinsame Ziele zur Patientenorientierung formulieren

Vom Publikum und in der anschließenden Podiumsdiskussion wurden die Anliegen der Patienten mit viel Interesse aufgenommen. Podiumsteilnehmerin Oberärztin Prof. Carola Berking von der ADO sprach sich für eine umfassende Unterstützung von Selbsthilfegruppen aus. Auch die Arzt-Patienten-Kommunikation wurde noch einmal aufgegriffen. Der Aussage von Prof. David Klemperer, dass „gute“ Kommunikation mit emphatischer Haltung in der Theorie für Ärztinnen und Ärzte nicht viel länger dauern würde, wurden Erfahrungen aus der Praxis gegenüber gestellt, die zeigen, dass ausführliche Beratungen andererseits eine gewisse Zeit brauchen, um alle wichtigen Informationen unterzubringen, was momentan oft nicht gegeben ist. Ein Ziel der NVKH ist es nun, Handlungsempfehlungen aus den Vorträgen und der Podiumsdiskussion abzuleiten.

Fazit aus Sicht der Selbsthilfe

Während ihres 5-jährigen Bestehens hat die NVKH viele Projekte und Diskussionen angestoßen. Das Thema der Patientenorientierung in den Mittelpunkt zu rücken und alle Beteiligten dazu zu Wort kommen zu lassen, ist ein wichtiger Anstoß, um die Verbesserung des Versorgungssystems weiter voran zu treiben. Auch die Gesundheitspolitik reagiert bereits auf die Themen ärztliche Kommunikation und Gesundheitskompetenz.

Die versammelten, gegen Hautkrebs engagierten Dermatologen, Psychoonkologen, Forscher und Präventionsexperten können also zu Recht stolz sein. Dennoch war immer wieder von den vielen „dicken Brettern“ die Rede, die es noch zu bohren gäbe: Denn das Gesundheitssystem sei schwerfällig und das Wissen über die aktuellen Kommunikations- und Versorgungsstandards noch längst nicht in jeder dermatologischen Praxis und Klinik angekommen. Inwiefern sich zukünftig auch wirklich etwas ändert, darf jedoch nicht nur von dem guten Willen einiger sehr engagierter Ärzte und Gesundheitsexperten abhängen, sondern muss auch politisch fester verankert werden. Dass den Worten der Selbsthilfe bei der NVKH viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde, hat uns sehr gefreut. Doch auch hier wird sich zeigen, ob die entgegengebrachte Unterstützung für die Arbeit der Selbsthilfe sich auch in einem Prozess niederschlägt oder ein Lippenbekenntnis bleiben wird.

Hintergrund

Das NVKH-Netzwerk wurde 2013 von der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG), dem Bundesverband der Deutschen Dermatologen (BVDD), der Arbeitsgemeinschaft Dermatologische Onkologie(ADO) und der Arbeitsgemeinschaft Dermatologische Prävention (ADP) ins Leben gerufen. Orientiert am vom Bundesgesundheitsministerium initiierten Nationale Krebsplan (NKP) richtet sich das interdisziplinäre Expertennetzwerk NVKH an vier Handlungsfeldern aus: (1) Weiterentwicklung der Hautkrebsvermeidung und Früherkennung, (2) Weiterentwicklung der onkologischen Versorgungsstrukturen und der Qualitätssicherung, (3) Sicherstellung einer effizienten onkologischen Behandlung, (4) Stärkung der Patientenorientierung.

Mehr Informationen: https://nvkh.de/

peb, awi (Text und Fotos)

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